Am 31.10.2018, dem Reformationstag, durfte ich als Gastprediger in der Evangelischen Kirchengemeinde in Wickede in meinem Wahlkreis sprechen. Die Predigt stand unter dem von der Kirchengemeinde vorgegebenen Motto „Mein Gott, das muss anders werden!“. Für alle Interessierten mache ich den Text nun hier zugänglich.

Sehr geehrte Herren Pfarrer Klein und Pallmann,
liebe Gemeinde, liebe Gäste,

ich bedanke mich herzlich für Ihre Einladung, heute an diesem besonderen Ort und an diesem besonderen Tag zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Es ist mir eine große Ehre, in diesem Gotteshaus frei und ungehindert meine Gedanken äußern zu können. Dass dies nicht überall auf dem Erdball so ist, darüber haben wir gerade im Bundestag debattiert. Mit mehr als 34 % der Weltbevölkerung bekennen sich mehr Menschen zum Christentum als zu jeder anderen Religion. Christinnen und Christen sind aber auch die größte Gruppe, die wegen ihres Glaubens verfolgt, drangsaliert und getötet wird. Ob in muslimischen Staaten oder in einigen des ehemaligen kommunistischen Machtbereiches – die freie Ausübung der Religion wird in Staaten, die autoritär, diktatorisch oder auch unter den Vorzeichen einer Staatsreligion regiert werden, unterdrückt. Obwohl die internationale Rechtsordnung nach der Charta der Vereinten Nationen die Freiheit der Religionsausübung ausdrücklich garantiert.

Unser deutsches internationales Engagement gilt ausdrücklich auch der Religionsfreiheit, die immer das Recht der und des Einzelnen ist, seine Religion frei wählen und im Rahmen der Rechtsordnung auch frei ausüben zu können. So ging es bei unserem Engagement im Irak beispielsweise auch darum, den Jesiden, die vom Islamischen Staat brutalst verfolgt wurden, in ihrer Heimat wieder die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens mit Menschen anderer Religionen zu ermöglichen. Ein Aspekt, der oftmals in unserem Lande nicht gesehen wird und der doch angesichts des Reformationstages so wichtig ist.

Aber müssen wir nicht auch nach Innen schauen? Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gab es derartig viele Anschläge auf Menschen und Synagogen und auf Asylantenunterkünfte. Wie steht es um ein Land, in dem Mitbürgern jüdischen Glaubens die Kippa und Mitbürgern muslimischen Glaubens das Kopftuch vom Kopf gerissen wird, oder sie bespuckt werden? Wie steht es um ein Land, in dem, wie in Chemnitz mit Unterstützung rechtsnationalistischer Parteien, Menschen durch Straßen gejagt werden, weil sie sogenannte Ausländer sind. Religionsfreiheit kann es nur dort geben, wo die Herrschaft des Rechts gilt und wo der Staat alles dafür tut, dieses Recht auch durchzusetzen. Dafür gilt es einzustehen. Mit klarer Haltung und mit Überzeugung. Dies ist nicht nur ein Auftrag für den Staat sondern für jeden Einzelnen für uns!

So steht es im 1. Buch Johannes Vers 4.20!

„So jemand spricht; „ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?“

So ist der, der Hass und Neid gegen andere Menschen säht kein Christ, sondern ein Lügner und Pharisäer. Deshalb müssen wir Christinnen und Christen aufstehen gegen Hass und Gewalt und das jeden Tag mit klarer Haltung. Denn die Liebe zum Menschen ist unser Gebot – unabhängig von seiner Religion, seiner Herkunft, seiner Hautfarbe, seiner politischen Meinung.

Und dort, wo die Herrschaft des Rechts durch die Herrschaft der Macht, des Egoismus und oder des Nationalismus ersetzt wird, dort müssen wir dafür einstehen, die Herrschaft des Rechts wieder zur Geltung zu bringen!

Liebe Gemeinde,
wie steht es um ein Land, welches doch so reich ist und in dem Gewalt jeden Tag stärker um sich greift? Was für ein Reichtum ist das?

Hat es vielleicht auch damit etwas zu tun, dass wir uns den anderen Menschen nicht mehr zuwenden sondern nur noch mit uns selbst beschäftigt sind? Dass wir neue Mauern hochziehen, nachdem wir alte gerade erst abgerissen haben?

Ein Beispiel: Meine Tochter konnte ein Semester in Nord-Irland studieren. Mit dem europäischen Programm Erasmus können viele junge Menschen in anderen europäischen Ländern studieren. Ihr Eindruck von Belfast war das Bild einer Stadt, welche von einer großen Mauer, deren Tore nachts geschlossen werden, in einen katholischen und einen protestantischen Teil getrennt wird und in der wieder Gewalt einzuziehen droht, wenn neue Grenzen gezogen werden. Und das im Namen des Glaubens? Dass wir auch in Deutschland bis vor etwas mehr als einem Vierteljahrhundert durch eine solche Mauer getrennt wurden, war ihr nicht bewusst – sie hatte es nicht erlebt. Aber umso mehr ist sie nun davon überzeugt, dass nur in einem Europa ohne Mauern, Grenzen und Nationalismus wirkliche Freiheit und Frieden herrschen können. Davon ist sie überzeugt.

Oder lassen Sie mich ein anderes Beispiel nennen. Auf einer der vielen Fahrten von Berlin in den Kreis Soest saß eine Familie im Abteil, deren zwei kleine Kinder mit ihren Eltern spielen wollten. Was taten diese Eltern? Sie hielten ihren Kindern das Smartphone hin: „Spielt doch damit!“ Ich mache den Eltern keinen Vorwurf, vielleicht wussten sie es nicht besser. Aber diese Kinder wollten mit ihren Eltern spielen, sie wollten ihre Zuwendung und Aufmerksamkeit. Dieses Erlebnis steht für mich beispielhaft für viele andere, die ich erlebt habe. Wo die Menschen den jeweils anderen nicht mehr sehen. Und es sagt mir, dass wir uns immer mehr den technischen Gegebenheiten einer digitalisierten Welt unterwerfen lassen, statt uns dem jeweils anderen zuzuwenden. Aber sollen Wirtschaft und Technik nicht dem Menschen dienen, und nicht anders herum?

Und ist es nicht gerade unsre Aufgabe als Christen dafür zu sorgen, dass die Hinwendung zum Nächsten, der Mensch an und für sich im Mittelpunkt unseres Handelns steht? Und begründet nicht gerade dies, unser Eintreten für mehr Frieden in der Welt?

In diesem Jahr erinnern wir uns an zwei historische Ereignisse. Vor 400 Jahren begann der 30jährige Krieg, der, vermeintlich im Namen des Glaubens, unendliche Schrecken über Europa gebracht hat. Er endete mit dem Frieden von Münster und Osnabrück, der ersten europäischen Friedensordnung. Und wir erinnern uns an das Ende des 1. Weltkrieges, der das endgültige Ende der Friedensordnung nach dem 30jährigen Krieg bedeutete und wieder unendliches Leid über unseren Kontinent brachte.
Vor Ihnen steht ein Verteidigungspolitiker, dem vor diesem historischen Hintergrund sehr bewusst ist, dass 70 Jahre Frieden in Europa ein Gut ist, das einer internationalen Friedensordnung zu verdanken ist, die auf Verträgen, auf den Ausgleich von Interessen und eben nicht auf der Durchsetzung von nationalen Machtinteressen beruht. Maxime des Handelns ist der Frieden, nicht der Krieg! Anders ist der Auftrag des Staates, seine Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu schützen, nicht erfüllbar.

Und diese Friedensordnung ist in Gefahr. Die Großen und Mächtigen steigen aus internationalen Verträgen der Rüstungskontrolle und Abrüstung aus, ein neues atomares Aufrüsten droht. Europa muss gemeinsam handeln, um diese Bedrohungen abzuwenden. Denn nur gemeinsam in Europa ist Europa stark. Und der Frieden in Europa ist nicht von selbst gekommen, nein, die Menschen wollten ihn nach Jahren des Krieges, des Hungers, der Gewalt, nach der Erfahrung, dass Nationalismus und Egoismus in die Irre des Krieges führen.

Und mich wundert es nicht, dass wenn die Mächtigen und Großen Recht durch Macht ersetzen, der innere Frieden in Gefahr gerät. Dem kann sich in einer globalisierten Welt niemand entziehen.

Ich möchte dem ein anderes Bild, einen anderen Auftrag entgegensetzen. Liebe zum Menschen ist die Grundlage von Solidarität, einer solidarischen Gesellschaft, in der die Menschen in Frieden zusammen leben.

Das ist eine Gesellschaft in der wir dafür sorgen, dass niemand um seine Zukunft Angst und Sorge haben muss.

Wir leben in einer reichen Gesellschaft, ja, aber haben alle etwas davon?

Nein, Chancen und Möglichkeiten sind nicht gerecht verteilt! Deshalb ist es so wichtig, dass wir durch eine gute Bildung allen jungen Menschen die Chance eröffnen, ihre Talente auch entwickeln zu können. Deshalb ist es so wichtig, dass Rentnerinnen und Rentner nach einem langen Arbeitsleben nicht in die Armut fallen. Deshalb ist es so wichtig, dass Familien mit Kindern auch ihre Wohnung bezahlen können. Deshalb ist es so wichtig, dass wir unseren Nachkommen eine intakte Umwelt hinterlassen, in der sie gesund leben können.

Und deshalb ist es so wichtig, dass 240 000 Menschen mit der Unterstützung von Kirchen und politischen Kräften in Berlin für eine friedliche Gesellschaft ohne Hass und Gewalt demonstriert haben!

In vielen auch gemeinsamen Worten haben sich Kirchen in Deutschland zu den Fragen der Zeit geäußert. Manches davon scheint in Vergessenheit geraten zu sein.

Es wäre an der Zeit, dass sich beide Kirchen wieder mit einem gemeinsamen Wort zu den aktuellen Widersprüchen und Klüften in unserer Gesellschaft zu Wort melden. Versöhnen statt spalten war ein zentrales Anliegen von Johannes Rau! Dies ist aktueller denn je.

Liebe Gemeinde,

Haltung und Handeln in diesem Sinne und mit diesem Auftrag sind gefragt

– in Deutschland
– in Europa
– in der Welt!

Damit diejenigen, die die Herrschaft des Rechts durch die Herrschaft der Macht, des Egoismus, des Nationalismus ersetzen wollen,

– in Deutschland
– in Europa
– in der Welt

keine Chance haben.

Das lehrt uns auch und gerade unsere Geschichte!

Liebe Gemeinde,

dies erfordert, erlauben Sie mir diese Anmerkung zum Schluss, dass sich unsere Kirche und jede und jeder von uns diesen Fragen zuwenden muss, eine klare Haltung zeigen muss. Nicht zu sehr mit sich selbst beschäftigen, sondern die Fragen und Nöte der Zeit in den Mittelpunkt kirchlichen Wirkens stellen.
Die Verwaltung der Gemeinde und Bürokratie nehmen der Seelsorge und dem Gemeindeleben zunehmend Zeit und Raum! Die Arbeit am inneren wie äußeren Frieden ist das Gebot der Stunde. Dabei ist ein Gemeindeleben aktiver Christinnen und Christen, die mit einer klaren Haltung in den Konflikten der heutigen Zeit Haltung im Sinne unseres Glaubens erweisen unser wichtigster Beitrag zu einer friedlichen Welt, in der das Recht herrscht und Religion frei ausgeübt werden kann. Ich hoffe, mit diesen Gedanken einen Beitrag zu unserem gemeinsamen Gespräch, zu unserem gemeinsamen Tun und Handeln geliefert zu haben. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!