Zur laufenden Debatte über Rüstungsexporte und die deutsche wehrtechnische Industrie

Es geht darum, die Regelungen des Koalitionsvertrages in Bezug auf die Rüstungsexporte in praktische Politik umzusetzen. Mit der Inkraftsetzung des international geltenden Waffenhandelsvertrages hat die Bundesregierung den Kriterien des Schutzes der Menschenrechte in möglichen Empfängerstaaten von Waffenlieferungen Geltung verschafft; die Paragraphen 6 und 7 sind hier eindeutig. Das Bemühen der Bundesregierung und insbesondere ihres Außenministers, den Arms Trade Treaty (ATT) durchzusetzen, muss unterstützt werden.

Es ist richtig, das Rüstungsexportkontrolle nicht in den Bereich der Wirtschaftspolitik gehört, sondern außenpolitisch behandelt werden muss. Mit dem Unterausschuss für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung des Auswärtigen Ausschusses ist die entsprechende parlamentarische Zuständigkeit geschaffen. Sie gilt es zu nutzen.

In der aktuellen Debatte um die Rüstungsexportpolitik wird gelegentlich (bewusst) übersehen, dass geltendem Recht, das keineswegs ein politisches Geheimnis ist, auch Geltung verschafft werden muss. Eine aktive Industriepolitik für die Rüstungswirtschaft bedeutet nicht, bei Exporten internationale Regeln zu unterlaufen. Im Gegenteil: Es ist dringend geboten diese Regeln einzuhalten und Forschungsmittel in Konversionsmaßnahmen zu investieren.

Die Bundespolitik handelt nicht im luftleeren Raum: Verpflichtungen in der NATO und in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union, aktives Engagement in den Vereinten Nationen sowie bei internationalen Bemühungen um Abrüstung definieren für die Politik der Bundesregierung das Koordinatensystem. Eine Null-Lösung bei Atomwaffen sowie die Verhinderung eines weiteren Zuflusses von Kleinwaffen auf den internationalen Markt sind und bleiben dabei ein vorrangiges Ziel deutscher Außenpolitik. Das schützt auch unsere Soldatinnen und Soldaten bei internationalen Einsätzen.

Der Vorschlag des offenen und am runden Tisch stattfindenden Dialoges von Politik, Wirtschaft, Gewerkschaft, Betriebsräten und der Wissenschaft ist begrüßenswert, allein schon um für ein fundiertes Verständnis für die jeweilige Position zu sorgen.

Eine Europäisierung der Rüstungspolitik bedingt vereinheitlichte Exportregeln und ein Instrumentarium für ihre Durchsetzung. Europäische Rüstungsunternehmen, die in der Lage sind nationale Erfordernisse z.B. der Bundeswehr zu erfüllen, sind hier gefordert. Im Umkehrschluss müssen Zukunftsprojekte der EU wie der NATO, von Transporthubschraubern, Führungs- und Aufklärungssystemen und Weiterentwicklungen bestehender maritimer Kapazitäten bis hin zu Handbüchern entsprechend definiert werden. Die Europäische Kommission hat Vorschläge zur gemeinsamen Beschaffung von Rüstungsgütern vorgelegt. Die intensivere Beschäftigung damit, wie auch mit den Regeln zu Dual-UseGütern, ist lohnenswert. Eine gemeinsame Beschaffung erfordert aber auch, dass bei kooperativen Rüstungsprojekten im frühen Stadium ein Schlusspunkt für das Anmelden nationaler Spezifika gesetzt wird.

Industrie und Wirtschaft brauchen verlässliche Planungsdaten für ihre Investitionsentscheidungen. Die Politik muss klarstellen, was sie aus sicherheitspolitischen Erwägungen benötigt. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Forschung und Entwicklung (abgebildet im Bundeshaushalt über einen mehrjährigen Zeitraum), Rüstungskonversion, Qualifikation sowie technologisches Know-how. Rüstungswirtschaft ist eben nicht reine Marktwirtschaft, sondern politisch determiniert. Die Investitionsplanungen der Bundeswehr für die nächsten 20 Jahre sind absehbar. Joint Support Ship, Erneuerung der Satellitenkommunikation, Unbemannte Luftfahrzeuge (Unmanned Aerial Vehicle, UAV), Schutzsysteme für Fahrzeuge, Hubschrauber, Mehrzweckkampschiffe, Minenabwehr und Materialerhalt – eine Liste, orientiert an den sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands, ist erstellbar und mit einem Zeitplan zu versehen. Dies lässt sich in einer als nicht-geheim eingestuften Vorlage des Bundesministeriums der Verteidigung für die Kommission zur Überprüfung des Parlamentsvorbehaltes nachlesen. Die globalen Verflechtungen der Bundesrepublik machen es notwendig, die internationale Sicherheitslage und -politik in den Blick zu nehmen und sich verantwortlich an der Vermeidung und Lösung von Konflikten zu beteiligen. Rüstungsexportentscheidungen werden deshalb richtigerweise Einzelfallentscheidungen bleiben, die Sicherheitsinteressen und Fragen der Wahrung der Menschenrechte nach international vereinbartem Standard in Übereinstimmung bringen.

Dass die Europäische Rüstungsindustrie von Überkapazitäten geprägt ist, ist seit Jahren bekannt. Diese Kapazitäten mit Exporten vor allem national zu sichern, bietet jedoch keine Perspektive. Die Bildung Europäischer Rüstungsunternehmen ist keine neue Idee, sind die Unternehmen doch bereits überwiegend in internationalen Zusammenhängen tätig. Dieser europäische Kontext bietet aber nur insofern eine Perspektive, als der notwendige politische Rahmen – z.B. für Rüstungsexportkontrollen – auch europäisch gestaltet und angewendet wird. Dies muss mittels europäisch definierter Sicherheitsinteressen und einer demokratischen Legitimation durch das Europäische Parlament erfolgen. Denn in welchem Rahmen sollten denn die NATO oder die EU ein französisches Schiff der Mistral-Klasse übernehmen (wie dies einige Politiker unseres Koalitionspartners vorschlagen, damit es nicht an Russland geliefert wird), ohne dass die Fragen der Kompatibilität mit den in der NATO genutzten Waffensystemen geschweige denn die Einsatzszenarien geklärt sind? Für meine Begriffe hört da die Verantwortung der Politik für die Rüstungsindustriepolitik einzelner europäischer Länder auf.

Vordringlich muss mit aller Konsequenz das Problem der Klein-und Leichtwaffen angegangen werden. Offensichtlich ist eine alleinige Zusage der Nicht-Weitergabe unzureichend. Technische Verbleibskontrollen, Rücknahmeverpflichtungen statt Weitergabe an Drittstaaten – es gibt viele Möglichkeiten zu verhindern, dass Waffen aus deutscher Produktion gegen Soldaten der Bundeswehr und mit ihr verbündeter Streitkräfte im Rahmen internationaler Friedenseinsätze angewendet werden. Es ist daher richtig, in die Sichtung, Klassifikation und gegebenenfalls Vernichtung der Waffenlager Libyens und das Verhindern von Waffentransporten auf dem afrikanischen Kontinent zu investieren.

Es gilt im laufenden politischen Prozess für Klarheit zu sorgen. Die Debatte um die kommenden Rüstungsexportberichte sowie den Parlamentsvorbehalt, die Bemessung des Rüstungsanteils im kommenden Bundeshaushalt sowie der NATO-Gipfel im September dieses Jahres in Wales sind dafür nur einige der sich noch in diesem Jahr bietenden Gelegenheiten.